Unter der Gläsernen Decke

Ort 1: Bundestag, Anlass: Vorstellung des Dritten Gleichstellungsberichtes des Bundesregierung, Zeitpunkt: 07. April. Meine erste “richtige” Rede als Parlamentarische Staatssekretärin. Ich spreche darüber, dass viel zu wenige Frauen in der IT-Branche tätig sind, und dass dieses Problem ein strukturelles ist. Dass wir damit beginnen müssen, auch schon junge Mädchen ans Coding heranzuführen. Und darüber, dass es in den Führungspositionen deutscher IT-Unternehmen viel zu wenige Frauen gibt. Konsequent werde ich aus einer bestimmten (rechten) Ecke des Plenums beim Vortragen durch Zwischenrufe gestört. Es gefällt ihnen nicht, was ich zu sagen habe.

Ort 2: München, Anlass: Sicherheitskonferenz, Zeitpunkt Anfang Februar 2022. Ein Bild geht um. 30 Männer an einem Tisch, statisch, sitzend, Shadows of Blue in den Anzügen, ausleben der Kreativität in den Krawatten, Alter, Haarfarbe, Sitzhaltung, geistige Haltung (?) angepasst. Position: Unternehmensvorstand. Bilder sprechen doch, hier eindeutig.

Die Welt schreibt, “Frauen, stellt euch nicht so an , ihr müsst euch halt gedulden. Ihr müsst euch durch Leistung nach Oben arbeiten und Qualifikation beweisen und wenn ihr das hinbekommt, dürft ihr  auch mal in die Welt der Großen reinschnuppern. Bis dahin, haltet mal still, wir „Männer“ leiden ja schon , das muss reichen.” (https://www.welt.de/politik/deutschland/article237021895/Treffen-der-Wirtschaftsbosse-Spott-fuer-den-Maenner-Lunch-am-Rande-der-Muenchner-Sicherheitskonferenz.html)

Oder aber: Haben wir nichts dringlicheres zu tun, als uns mit solchen „Randthemen zu beschäftigen?“ (https://www.welt.de/debatte/kommentare/article237048279/Maenner-Foto-auf-der-Muenchner-Sicherheitskonferenz-Der-Woke-Reflex.html)

Nein, haben wir nicht, denn das ist ein Teil des Problems, warum manche Entscheidungen kommen, wie sie sind. Die Gesellschaft in der wir leben, ist bunt und vielfältig. Diversität ist längst kein theoretischer Begriff, sondern Realität in einer globalen, zusammenwachsenden Welt. Eines der Diversitätskriterien ist nun mal das Geschlecht. Männlich, weiblich, divers. Und nein, Frauen oder Diverse sind nicht besser als Männer. Aber sie haben andere Lebenserfahrungen, sie bringen den anderen Blickwinkel mit in die Entscheidungen, sie können Wissen aus ihren Netzwerken eruieren. Damit werden bei Entscheidungen Risiken minimiert, Akzeptanz gesteigert, ja, auch der Umsatz und die Qualität der Strategien, Produkte, Ergebnisse verbessert.

„Besonders groß ist dieser Zusammenhang beim Frauenanteil im Topmanagement (Vorstand plus zwei bis drei Ebenen darunter). Unternehmen, die hier besonders gut abschneiden, haben eine 21% größere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich erfolgreich zu sein.“ (https://www.mckinsey.com/de/news/presse/neue-studie-belegt-zusammenhang-zwischen-diversitat-und-geschaftserfolg)

In Deutschland waren im Jahr 2020 rund 28 % der Führungs­positionen von Frauen besetzt. Damit sank der Anteil im Vergleich zum Vorjahr um 2 %. Im Vergleich zu den anderen Mitglied­staaten der Europäischen Union (EU) lag Deutschland nur im unteren Drittel. Lettland war mit einem Frauen­anteil in Führungs­positionen von 47 % EU-Spitzenreiter. In Polen (44 %) und Schweden (42 %) gab es ebenfalls relativ hohe Quoten. Schluss­licht war Zypern mit lediglich 25 %. Im EU-Durchschnitt war rund ein Drittel der Personen in Führungs­etagen eine Frau (34%) . In den Vorständen der DAX-Unternehmen reden wir von 17, 5%. In den Top 200 14% und Top 100, 8,3%. Darunter knapp 80% ohne eine einzige Frau- einige weder im Vorstand noch im Aufsichtsrat. (https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Frauenanteil_Fuehrungsetagen.html <https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Frauenanteil_Fuehrungsetagen.html>)

Hier auf diesem Bild gibt es nicht eine Chance, dass die Fotografin ein Frau war. Wir sehen sie ja nicht. Wie auch die Herren in den Artikeln, die nicht sehen wollen, dass es längst diese Frauen gibt: gut ausgebildet, die Besten ihrer Jahrgänge im Abitur, Hochschulabschluss, gut qualifiziert im Job, bereit, Verantwortung zu übernehmen. Womöglich nicht bereit, sich den Gesetzen eben dieser Logik zu unterwerfen, die hier propagiert werden. Spielregeln, von Männern für Männer, die gläserne Decken aufbauen, Kritik nicht aushalten können, die Zukunft verpassen. Die für eine statische vergangene Welt der Entscheidungen stehen. Die uns genau die Probleme herbeigeführt haben, die jetzt als Argument für Status Quo-Erhalt dienen. „Haben wir nichts wichtigeres zu tun?“

In der Tat, haben wir nicht. Denn es gibt noch ein zweites Foto. Gleicher Tag, gleicher Ort, gleiche Uhrzeit und Anlass, anderer Raum: Annalena Baerbock mit Außenministerinnen aus 40 Ländern, weiblich, stehend, vielfältig, jung, alt, dynamisch. Lasst uns nach Lösungen suchen. Gemeinsam, klug, miteinander. Bereit zum Handeln, Kommunizieren, Verändern.

Ich bereite gerade einen Vortrag zu einer Studie aus der Immobilienwirtschaft vor. Warum es wichtig ist, dass Hürden überwunden werden, damit Frauen im Beruf aufsteigen können. Nein, wir dürfen diese Hürden nicht auf die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf reduzieren. Und warum ist das eigentlich eine Frauenfrage, in einer Zeit, in der sich auch die Väter mehr Zeit mit ihren Kindern wünschen? Ich werde ihnen von FüPoG erzählen, dass uns der Durchbruch gelungen ist, die 10 Jahre währende Blockade Deutschlands gegen einen europäischen Beschluss zu Frauen in Führungsetagen zu durchbrechen. Das unsere kleinen und feinen Quotenregelungen wirken, wenn auch sanft. Es fällt mir schwer, kleine Schritte zu glorifizieren. Unter anderem auch deshalb, weil ich noch eine der Sitzungen von Gestern  in meinem Knochen steckt : Vorbereitung von einem Beschluss. 6 Stunden Verhandlung. Lange, intensive Debatten. Natürlich spät Abends. In der Runde sitzen wichtige, Wortstämme, gewandte Verhandler- ohne * und innen – ach ja und dann meldet sich auch noch eine Frau zu Wort. Die war ich.

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