Von Wurzeln und Königinnen

Wenn wir über Familie reden, denken wir an erster Stelle immer an die Eltern und Kinder, wohlgemerkt minderjährige  Kinder, die kleinsten also. Es ist ganz logisch, dass wir deswegen auch viel über Familienzeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Kitas, Ganztagschulen, materielle Entlastungen für die Erziehenden, usw., reden. Dabei ist Familie so vieles mehr. Sie ist immer dort, wo Menschen füreinander und miteinander Verantwortung übernehmen, unabhängig  vom Alter, sexueller Orientierung und Partnerschaftskonstellation. Mit und ohne Trauschein, mit und ohne biologische Beziehung. So vielfältig und  bunt, wie eben die Menschen und ihre Beziehungen sind.

Ich habe eine große bunte Familie, in der sich derzeit vier Generationen tummeln. Erst vor kurzem habe ich ein paar Tage mit meiner Anneanne , meiner Großmutter in der Türkei verbracht. Sie hat schon ein tolles, stolzes Alter, ist unsere Königin und lebt sehr selbstbestimmt und selbständig, alleine in ihrer Wohnung. Unterstützt durch Kinder, Enkelkinder, Urenkel, Nachbarn, Freunde und so viele mehr – ein Dorf in der Stadt um sie herum und wir alle drehen uns wie Kometen um sie. Aber eigentlich dreht auch sie sich um uns. Alle, wirklich alle fühlen sich wohl, sobald wir die Tür in ihre Wohnung betreten. Im Alter will ich genau so sein wie sie. Aber wir sind nicht alle immer da und machen uns auch Sorgen.

Neulich war wieder so ein Moment, in der wir sie fragten, ob es nicht Zeit wäre, tägliche häusliche Unterstützung für sie zu holen, wie z.B. eine Pflegekraft. Sie antwortete recht freundlich: „Ja, warum nicht? Wenn ich mal alt bin, denke ich darüber nach!“ Sie ist alt und das ist respektvoll gemeint. Sie ist selbstbestimmt in ihrem Leben und will so bleiben. Darin ist sie nicht alleine. Weder in der Türkei noch in Deutschland.

Der achte Kurzbericht der D80+-Studie gibt einen Überblick über das Ausmaß der Alltagskompetenz und dem Wohnumfeld hochaltriger Menschen in Deutschland. Die Studie kommt zu folgenden zentralen Ergebnissen:

  • Die Alltagskompetenzen von Hochaltrigen in Deutschland sind gut. 60,8 % sind eigenständig in ihren Aktivitäten im täglichen Leben und brauchen nur wenig Hilfe. Dabei sind weibliche, niedriger gebildete und im Heim wohnende Hochaltrige weniger alltagstüchtig.
  • Barrierefreie Wohnungen bzw. Häuser sind bei Hochaltrigen die große Ausnahme, nur 9,1 % haben nicht mit Hindernissen wie zum Beispiel Treppen zu kämpfen. Unterschiede innerhalb von soziodemografischen Gruppen gibt es kaum, lediglich Heime oder Einrichtungen bieten bessere Bedingungen.
  • 76,1 % der Hochaltrigen sind der Auffassung, dass ihre Wohnumgebung sich gut eignet, um zu Fuß unterwegs zu sein. Diese Bewertung fällt bei Männern positiver aus als bei Frauen.
  • Mehr als die Hälfte der hochaltrigen Menschen in Deutschland (64,9 %) fühlen sich mit ihrem Wohnumfeld verbunden. Heimbewohner und Heimbewohnerinnen weisen eine geringere Verbundenheit zu ihrem Wohnumfeld auf, als privat Wohnende.
  • 53,4 % der hochaltrigen Menschen in Deutschland vertrauen ihrer Nachbarschaft vollkommen, wobei Männer, Hochaltrige mit höherer Bildung und privat wohnende Hochaltrige ein größeres Vertrauen haben.

Die meisten Menschen in Deutschland möchten im Alter in ihrer gewohnten Umgebung wohnen bleiben, auch wenn sie Hilfe oder Unterstützung im Alltag benötigen. Je nach persönlicher Situation kann es notwendig sein, Fürsorgestrukturen auch unabhängig von der Familie zu etablieren, um eigenständiges Wohnen bei Hilfebedarf zu ermöglichen. Dafür eignen sich Wohnformen, die gemeinschaftliches und generationenübergreifendes Zusammenleben bieten. Das BMFSFJ fördert solche Modellprojekte u. a. mit dem Modellprogramm „Leben wie gewohnt“. Es informiert über die verschiedenen Aspekte des Wohnens im Alter sowohl online (http://www.serviceportal-zuhause-im-alter.de/) wie auch beispielsweise mit der Broschüre „Länger zuhause leben“. Auch das vom BMFSFJ geförderte bundesweite Koordinierungsangebot und die Informationsplattform des Forums Gemeinschaftliches Wohnen e. V., „Wissen, Informationen, Netzwerke – WIN für Gemeinschaftliches Wohnen“ (https://win.fgw-ev.de/) unterstützt gemeinschaftliche Wohnprojekte insbesondere in der Anfangsphase. Ja, auch dafür ist das Familienministerium zuständig.

Ich sitze gerade im Plenum auf der Regierungsbank und denke an meine Anneanne (manchmal muss man auch hier die Gedanken schweifen lassen). In Gedanken schreite ich durch ihre Türschwelle und es fühlt sich wohlig an. Familie ist für mich, wo Menschen sich gegenseitig lieb haben.

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