Entschließungsantrag: Entwurf eines Sechsundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (26. BAföGÄndG)

Der Bundestag wolle beschließen: In seiner fast 50-jährigen Geschichte hat das BAföG vielen Studierenden aus einkommensschwächeren Familien den Weg in Ausbildung und Studium geebnet. Das BAföG hat damit einen wichtigen Beitrag geleistet, dass nicht die finanzielle Situation der Eltern, sondern die Talente und Neigungen junger Menschen entscheidend für ihre berufliche Entwicklung ist. Gleichwohl bleibt gerade die soziale Öffnung der Hochschulen eine wichtige Herausforderung. Laut 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks stammen nach wie vor zwei Drittel der Studierenden aus einem Elternhaus, in dem die Eltern Abitur haben. Studierende aus Familien, in denen kein Elternteil einen Schulabschluss hat, sind hingegen die absolute Ausnahme. Nach wie vor entscheiden die finanzielle Situation und der Bildungsgrad der Eltern maßgeblich über die beruflichen Zukunftschancen junger Menschen. Trotz des hohen Bedarfes hat das BAföG in den vergangenen Jahren immer weniger junge Menschen erreicht. Das bestätigt auch der 21. BAföG-Bericht der Bundesregierung: Während die Zahl der Studierenden von 2012 bis 2016 um rund 15 Prozent auf über 2,7 Millionen angestiegen ist, ging die Zahl der jahresdurchschnittlich tatsächlich geförderten Studierenden um 14,3 Prozent auf 377.000 zurück. Damit erhalten nur noch 13 Prozent aller Studierenden überhaupt BAföG. Fast 40 Prozent der Studierenden sind von vornherein ausgeschlossen, weil sie nicht „dem Grunde nach förderberechtigt sind“ – also nicht in die Fördersystematik passen. Die unzureichenden Reformen der vergangenen Jahre haben so dazu geführt, dass allein zwischen 2013 bis 2017 rund 200.000 junge Menschen aus dem BAföG herausgefallen sind. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung ist nicht geeignet, um diesen Negativ-Trend umzukehren und das BAföG zukunftsfest auszubauen. Einerseits waren die bisherigen Bedarfssätze beim Lebensunterhalt und den Wohnkosten bereits im Rahmen der 25. BAföG-Novelle zu gering angesetzt und lagen damit unter dem Existenzminimum. Andererseits haben die Preissteigerungen der vergangenen Jahre, insbesondere bei Miete, Fahrtkosten und Gesundheit, dazu geführt, dass weitaus höhere Sätze angelegt werden müssen, um das Existenzminimum der förderberechtigten Studierenden zu sichern. Insbesondere die von der Bundesregierung geplante Erhöhung der Freibeträge vom Einkommen der Eltern, Ehegatten und Geschwister greift deutlich zu kurz und zu spät. Dass diese wichtige Stellschraube nur schrittweise und damit erst in vollem Maße 2021 wirken soll, verhindert, dass das BAföG bereits zum WS 2019/2020 deutlich mehr Studierenden mit Förderbedarf ein Studium ermöglicht bzw. erleichtert. Gerade in der Erhöhung der Einkommensfreibeträge liegt ein entscheidender Hebel, wieder mehr Studierende in den BAföG-Bezug zu bekommen und damit das sog. „Untere-Mittelschichts-Problem“ zu lösen. Bei steigenden Löhnen und Preisen fallen mit jedem Jahr ohne Erhöhung weitere SchülerInnen und Studierende aus der Förderung heraus, obwohl sich an ihrer Bedürftigkeit nichts geändert hat. Um die Preis- und Einkommensentwicklungen auszugleichen, müssen deshalb sowohl die Fördersätze als auch die Freibetragsgrenzen bereits zum Wintersemester 2019/2020 um je 10 Prozent erhöht werden. Dies kann aber nur ein erster Schritt sein. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Förderlogik und Lebensrealität der Studierenden immer weiter auseinanderdriften, wenn das BAföG nicht regelmäßig überprüft und angepasst wird. Damit die Studienfinanzierung zuverlässig alle SchülerInnen und Studierenden mit Bedarf erreicht, müssen die Fördersätze, Freibeträge in Zukunft dynamisch, regelmäßig und automatisch entsprechend der Preissteigerungen und wirtschaftlichen Entwicklung angepasst werden. Auch die von der Bundesregierung vorgeschlagene Erhöhung der Mietkostenpauschale auf 325 Euro monatlich ist mit Blick auf die großen regionalen Unterschiede auf dem Wohnungsmarkt unzureichend. Gerade in teuren Hochschulstädten liegt die durchschnittliche Miete Studierender seit langem über 325 Euro. In der Konsequenz werden Studierende aus weniger wohlhabenderen Elternhäusern gezwungen, ihre Studienwahl vom Wohnungsmarkt abhängig zu machen. Weil nicht ein überhitzter Immobilienmarkt, sondern die persönlichen und fachlichen Interessen junger Menschen über Studienwahl und -ort entscheiden sollten, müssen die Wohnkosten stattdessen entsprechend der regionalen Staffelung (Wohngeldstufen) nach dem Wohngeldgesetz erstattet werden. Auch darüber hinaus sind weitere soziale Öffnungen am BAföG notwendig, um wieder mehr jungen Menschen Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen. Bereits heute können Studierende mit Behinderung, Schwangere oder Studierende mit Kindern unter bestimmten Voraussetzungen länger BAföG erhalten, wenn sie wegen der Doppelbelastung ihr Studium nicht in der vorgesehen Regelstudienzeit abschließen können. Die Pflege von nahen Angehörigen, die angesichts des demografischen Wandels zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist in diese Bestimmung bisher noch nicht einbezogen. Um die Vereinbarkeit von Familie und Studium oder Ausbildung weiter zu verbessern, müssen deshalb auch Studierende, die nahe Angehörige pflegen, länger gefördert werden können. Zur Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung gehört auch, Studierende und Auszubildende in Teilzeit besser zu unterstützen. Teilzeitmodelle werden immer gefragter, können aber nicht durch das BAföG gefördert werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verpasst die überfällige Öffnung und geht damit an der Lebensrealität vieler Menschen vorbei. Neben Studierenden müssen auch Auszubildende in schulischen Ausbildungen, etwa im Rahmen der ErzieherInnenausbildung, in Teilzeit unterstützt werden können. Integrationspolitisch hoch problematisch ist darüber hinaus, dass die Bundesregierung die Chance ungenutzt lässt, die seit langem bekannte Förderlücke für Geflüchtete in Ausbildung oder Studium zu schließen und damit Integration durch Bildung unnötig erschwert. Auch auf die Vielfalt der Orientierungs- und Studienangebote an Hochschulen liefert der vorliegende Gesetzentwurf keine zukunftsweisenden Antworten. Bundesweit werden zahlreiche Modelle zur Studienorientierung an Hochschulen entwickelt, um die Studienerfolgsquote zu erhöhen und die Studienabbruchquote zu senken. Solche Orientierungsstudiengänge leisten einen wichtigen Beitrag, dass Studierende möglichst früh erkennen, ob der gewünschte Studiengang den eigenen Erwartungen entspricht. Die fehlende Flexibilität im BAföG führt aber dazu, dass diese neuen Modelle nicht gefördert werden können. BAföG-EmpfängerInnen werden so faktisch von der Teilnahme an den Orientierungsangeboten der Hochschulen ausgeschlossen. Auch hier gilt also: Fördersystematik und Hochschulrealität passen nicht mehr zusammen. Das BAföG muss die Entwicklungen in der Hochschullandschaft deshalb dringend nachzeichnen und für alle Modelle der Studienorientierung, die hochschulrechtlich zulässig sind, geöffnet werden. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung verpasst nicht nur die Chance auf eine echte Trendwende für mehr Bildungsgerechtigkeit, er enthält auch keinerlei Vision, wie eine sozial gerechte Studienfinanzierung in Zukunft aussehen könnte. Statt kleinerer Kurskorrekturen ist perspektivisch eine Generalüberholung der Studienfinanzierung notwendig, damit sie wieder gerechter, verlässlicher und leistungsfähiger wird. Denn nach wie vor verzichten vor allem junge Menschen aus einkommensarmen Elternhäusern aus Angst vor Überschuldung auf ein Studium. Das BAföG sollte deshalb mittelfristig zu einem Zwei-Säulen-Modell umgebaut werden. Die erste Säule, der Studierendenzuschuss, erhalten alle Studierenden in gleicher Höhe als Basisabsicherung. Damit erhalten alle Studienberechtigten einen klaren Anreiz, ein Studium tatsächlich aufzunehmen. Mit der zweiten Säule, dem Bedarfszuschuss, wird eine unerlässliche soziale Komponente geschaffen, damit Studierende aus einkommensarmen Elternhäusern gute Möglichkeiten zur Finanzierung haben. Beide Säulen sollen Zuschüsse sein, müssen also nicht zurückgezahlt werden. In der ersten Säule gehen Kindergeld und die Entlastungswirkung der Kinderfreibeträge auf. Die Studierenden brauchen eine schnelle, wirksame BAföG-Novelle, damit es nicht völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Gleichzeitig muss der Bundestag jetzt die Debatte über eine Strukturreform der Studienfinanzierung einleiten, damit sie wieder gerechter, verlässlicher und leistungsfähiger wird. Spätestens zum 50. Geburtstag des BAföG im Jahr 2021, muss die Generalüberholung abgeschlossen sein. Berlin, den 14. Mai 2019 Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion 

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