Antrag: Mehr Kooperation wagen – Möglichkeiten des Grundgesetzes für mehr Bildungschancen wagen
Der Bundestag wolle beschließen: I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Bundestag und Bundesrat haben im Mai dieses Jahres eine Grundgesetzänderung im Bildungsbereich beschlossen, die es dem Bund ermöglicht, die Länder mit Finanzhilfen für wichtige Investitionen in Bildungseinrichtungen zu unterstützen. Diese Öffnung der Verfassung bedeutet zwar noch kein Ende des Kooperationsverbots in der Bildung, das weiterhin als Ziel anzustreben ist, sie ist aber ein erster Schritt auf dem Weg zu einem modernen Bildungsföderalismus, der nicht vom Geist der Konkurrenz, sondern vom Willen zur Kooperation geprägt ist. Das erste gemeinsame Projekt der Zusammenarbeit, das auf Basis des neuen Artikel 104c GG derzeit umgesetzt wird, ist der Digitalpakt Schule, mit dem die Schulen mit Breitband, WLAN und Tablets besser für den modernen Unterricht ausgestattet werden sollen. Die Digitalisierung im Klassenzimmer ist aber nur eine der großen Baustellen, vor denen die Bildungspolitik steht. Seit langem warnen Bildungsforscherinnen und -forscher vor den negativen Folgen unzureichender Zukunftsinvestitionen in Kitas, Schulen und Hochschulen. Obwohl Deutschland zu den wohlhabendsten Industrienationen der Welt zählt, investiert es im internationalen Vergleich deutlich weniger in die Ausbildung junger Menschen als andere Länder. Die unmittelbare Konsequenz: In kaum einem anderen Land der OECD hängt der Bildungserfolg so stark von der sozialen Herkunft oder dem Wohnort ab wie in Deutschland. Das ist ein Armutszeugnis für die selbsternannte „Bildungsrepublik“, die Bund und Länder vor elf Jahren ausgerufen haben, u.a. mit dem Ziel, sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Bildung zu investieren. Dieses Ziel liegt nach wie vor in weiter Ferne. Auf Grundlage der beschlossenen Grundgesetzänderung sollte der Bund sich nun stärker engagieren, dieses Ziel zeitnah und dauerhaft zu erreichen und die zukünftigen Herausforderungen in der Bildungspolitik gemeinsam mit den Ländern anzupacken. Um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft oder Wohnort und Bildungserfolg nachhaltig zu entkoppeln, müssen insbesondere Schulen in schwierigen sozialen Lagen und mit benachteiligter Schülerschaft gezielt unterstützt und der Ausbau qualitativ hochwertiger und inklusiver Angebote der Ganztagsbildung vorangetrieben werden. Inklusive Bildung darf dabei nicht bloß als gemeinsames Lernen behinderter und nicht behinderter Kinder und Jugendlicher im selben Raum verstanden werden. Vielmehr geht es um ein Bildungssystem, dass jede und jeden dort abholt, wo sie oder er gerade steht. Das bedeutet mehr individuelle Förderung für Alle, ob behindert oder nicht behindert, frisch zugewandert oder mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen, aus bildungsbürgerlichen oder bildungsfernen Familien, unterdurchschnittlich oder hoch begabt. Die Koalition aus CDU/CSU und SPD hat zwar eine „Gemeinsame Initiative von Bund und Ländern zur Förderung von Schulen in benachteiligten sozialen Lagen und mit besonderen Aufgaben der Integration“ sowie einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung angekündigt. Das zuständige Bundesbildungsministerium hat bisher aber keines der beiden Projekte umgesetzt. Die Vorhaben der Koalition bleiben leider weit hinter den tatsächlichen Bedarfen von Schüler*innen, Eltern und Lehrkräften zurück. Dazu kommt: Der Spielraum, den das Grundgesetz für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung bietet, bleibt weitgehend ungenutzt. In Anlehnung an die bestehende Bund-Länder-Initiative „Leistung macht Schule“ zur Förderung besonders leistungsstarker und potentiell leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler soll sich der Bund nach dem Willen der Koalition nach wie vor lediglich auf die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation beschränken. Bedeutende Investitionen in eine moderne und lernfördernde schulische Infrastruktur, Unterstützung bei der Fortbildung von Lehrkräften oder für die Begleitung der Schulentwicklungsprozesse vor Ort sollen nicht gefördert werden, obwohl der neu gefasste Artikel 104c GG dies grundsätzlich ermöglichen würde. Der Bundestag weist vor diesem Hintergrund darauf hin, dass die jüngste Verfassungsänderung im Bildungsbereich keine „Lex Digitalpakt“, sondern eine grundlegende Öffnung der Verfassung zur Steigerung der Qualität und Leistungsfähigkeit sowie zur Weiterentwicklung des Bildungswesens darstellt. Diesen Spielraum gilt es im Sinne gerechter und herkunfts- bzw. wohnortunabhängiger Bildungschancen umfassend zu nutzen. Auch könnte sich der Bund im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung wesentlich stärker bei der Sicherung des zukünftigen Lehrkräftebedarfs engagieren, indem er im Zusammenspiel mit den Ländern das Programm ausbaut und die Erfahrungen und Erkenntnisse aus den geförderten Projekten in die Breite transferiert, so dass alle Hochschulen mit Lehramtsausbildung sie für sich nutzen können. Auch bei der Fortbildung von Lehrkräften, die mit dem Einzug digitaler Medien ins Klassenzimmer und einer zunehmend heterogenen Schülerschaft immer mehr an Bedeutung gewinnt, sind dem Bund keineswegs die Hände gebunden. Über die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung der Ausbildungsbeihilfen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG könnte der Bund im Rahmen von Bund-Länder-Programmen Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen ergänzend zu den Angeboten der Ländern fördern, damit die Investitionen in die Bildungsinfrastruktur nicht ins Leere laufen. Wird die Ausbildungsbeihilfe dabei als Geldleistungsgesetz ausgestaltet, könnte der Bund die Kosten nach Art. 104a Abs. 3 GG ganz oder zum Teil tragen und damit einen wichtigen Beitrag zu einem qualitativ hochwertigen, modernen und inklusiven Bildungssystem leisten. Vorabfassung – wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Dies gilt ebenso für die begleitende Forschungsförderung zur Weiterentwicklung und Stärkung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens, die weiter ausgebaut werden sollte. Im Fokus müssen dabei vor allem die Förderung der begleitenden Forschung für die Entwicklung gemeinsamer Bildungsstandards im föderalen Bundesstaat, Forschung zur Entwicklung von Konzepten zur Digitalisierung der Schulbildung und der Wirkung dieser Konzepte auf den Lernerfolg sowie Forschung zur Förderung von Schulen mit besonders heterogener Schülerschaft stehen. Auch bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ergeben sich weitergehende Möglichkeiten der Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Als gemeinsame übergeordnete Strategie ermöglicht BNE, Menschen zu einem zukunftsfähigen Denken und Handeln zu ertüchtigen, dass jeder und jeder Einzelne die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt versteht und verantwortungsvolle Entscheidungen treffen kann. II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, den Spielraum des Grundgesetzes gemeinsam mit den Ländern umfassend für mehr Bildungsgerechtigkeit zu nutzen. Dafür ist 1. gemeinsam mit den Ländern und Schulträgern dafür zu sorgen, dass mindestens sieben Prozent des BIP in die Bildung fließen. Gerade der Bund muss seinen Anteil an den Bildungsausgaben erheblich steigern und dafür den Rahmen, den das Grundgesetz bietet, ausschöpfen; 2. ein Aufholprogramm für Schulen in benachteiligten Quartieren und Regionen auf den Weg zu bringen, damit diese zu lebendigen Orten der Integration und Bildungsgerechtigkeit werden. Der Bund stellt im Rahmen der Bund-Länder-Initiative über einen Zeitraum von fünf Jahren jährlich 500 Mio. Euro zur Verfügung und a) sorgt für die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Programms, b) finanziert den notwendigen Umbau der Schulgebäude für ein didaktisch und ökologisch nachhaltiges und positives Lernumfeld, c) unterstützt die Schulentwicklungsprozesse vor Ort über die Finanzierung von externen Beraterinnen und Beratern für Schulentwicklung, Prozessbegleiterinnen und -begleitern sowie Coaching des schulischen Personals, d) unterstützt die Etablierung multiprofessioneller Teams an den Schulen, e) fördert Fortbildungen für Lehrkräfte mit den Schwerpunkten Digitalisierung, Inklusion und interkulturelle Bildung; 3. der angekündigte Rechtsanspruch auf Ganztag im Grundschulalter im SGB VIII zügig umzusetzen und der Ausbau qualitativ hochwertiger inklusiver Angebote der Ganztagsbildung gemeinsam mit den Ländern entschieden voranzutreiben. Für den Erfolg dieser Maßnahmen sind hohe Qualitätsstandards, gut ausgebildete und in ihrer Zahl ausreichende Fachkräfte und eine solide Finanzierung dringend erforderlich; 4. im Zusammenspiel mit den Ländern die Qualitätsoffensive Lehrerbildung deutlich aufzustocken und die Erfahrungen und Erkenntnisse aus den geförderten Projekten in die Breite zu transferieren, so dass alle Hochschulen mit Lehramtsausbildung sie für sich nutzen können; 5. im Rahmen von Bund-Länder-Programmen von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelung der Ausbildungsbeihilfen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG Gebrauch zu machen, damit Investitionen in die Bildungsinfrastruktur auch tatsächlich genutzt werden. Fortbildungsmaßnahmen für Lehrkräfte sollen ergänzend zu den bestehenden Angeboten der Länder durch den Bund unterstützt werden können. Dies betrifft Teilnehmende an Fortbildungsmaßnahmen außerhalb der Hochschulen, beispielsweise an den Lehrerakademien der Länder, a) an aus- und berufsbegleitender Weiterbildung von Seiten-/ Quereinsteiger*innen, sowie b) an berufsbegleitender bereichsbezogener Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern gemäß den inhaltlichen Vorgaben der insoweit zuständigen Länder (z. B. im Bereich Medienkompetenz/Digitalisierung); 6. die begleitende Forschungsförderung zur Weiterentwicklung und Stärkung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens auszuweiten und auf weitere Herausforderungen im Bereich der schulischen Bildung zu übertragen. Schwerpunkte sollten dabei sein: a) die Entwicklung gemeinsamer Bildungsstandards im föderalen Bundesstaat, b) die Entwicklung und Erforschung der Wirkung von Konzepten zur Digitalisierung der Schulbildung, c) die Förderung von Schulen mit besonders heterogener Schülerschaft; 7. gemeinsam mit Ländern und Kommunen das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung als selbstverständliche Aufgabe des Bildungswesens zu verstehen, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Lehr- und pädagogischen Fachkräftebildung sowie Weiterbildung zu integrieren, am Lernort und im Sozialraum Schule zu verankern und dabei die Partizipation von Kindern, Jugendlichen und Zivilgesellschaft als (Mit-)Gestaltungsinstrument sinnvoll zu berücksichtigen. Berlin, den 14. Mai 2019 Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
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