Wege bahnen statt Hürden bauen – Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben verbessern
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: In den
letzten Jahren sind viele Schritte auf dem Weg zu mehr Teilhabe für
behinderte Menschen zurückgelegt worden. So sind die Bedürfnisse
behinderter Menschen stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt;
zunehmend äußern sich auch Menschen mit Behinderung in eigener Sache –
und werden damit auch wahrgenommen. Diese Fortschritte sind entscheidend
dem durch die Ratifikation der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)
erzeugten Handlungszwang und dem starken Druck durch
Selbstvertretungs-Organisationen zu verdanken. Auf politischer Ebene
sind wir jedoch von Gleichstellung noch weit entfernt. Dies gilt auch
für den Arbeitsmarkt: Menschen mit Schwerbehinderung sind zu einem
höheren Prozentsatz arbeitslos als andere Erwerbspersonen (Zweiter
Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen
mit Beeinträchtigungen 2016), auch bei besserer Qualifikation und trotz
anhaltend guter Konjunktur. Ihre Arbeitslosigkeit dauert zudem deutlich
länger an. Laut aktueller Pressemitteilung des Sozialverbandes VdK
beschäftigen 38.000 der 135.500 beschäftigungspflichtigen Unternehmen,
immerhin 28 Prozent, keinen einzigen schwerbehinderten Menschen: https://www.vdk.de/bayern/pages/presse/pressemitteilungen_archiv/23302/38_000_betriebe_beschaeftigen_keine_schwerbehinderten_menschen
Hierfür gibt es mehrere Gründe. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber klagen häufig darüber, dass sie die Unterstützung, die sie für die Beschäftigung behinderter Menschen benötigen, nicht oder erst nach langwieriger Suche und zähen Verhandlungen bekommen. Viele empfinden die zahlreichen verschiedenen Zuständigkeiten und Förderprogramme als undurchschaubares und undurchdringliches Dickicht (https://www.zeit.de/karriere/2017-07/inklusion-karrier-behinderte-menschen-arbeit ; Keune, Martin: Vollspast. Alexander Abasov rollt ins Berufsleben – Inklusion mit Behinderungen, Zitrusblau 2011). So haben Bund und Länder in den letzten Jahren insgesamt 40 Sonderprogramme aufgelegt, die die Einstellung schwerbehinderter Menschen allgemein oder von bestimmten Gruppen fördern (https://www.talentplus.de/foerderung/sonderfoerderprogramme/index.html).
Auch viele behinderte Arbeitslose berichten in
Zuschriften sowie in Gesprächen mit Abgeordneten davon, von den
Arbeitsagenturen und Jobcentern allein gelassen zu werden oder sich
ihren Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt gegen diejenigen
erkämpfen zu müssen, die ihn eigentlich fördern sollten. Der Bericht der
Internen Revision (Revision SGB II, Bericht gemäß § 49 SGB II, Reha
(Wiedereingliederung), Horizontale Revision, Juni 2018) offenbarte
gravierende Mängel in der Beratung von schwerbehinderten Arbeitslosen.
Dabei waren die Ergebnisse der spezialisierten Reha- / SB-Teams nur
geringfügig besser als die Ergebnisse der Teams, die ohne solche
Fachkräfte arbeiten. Hier ist also dringender Nachqualifizierungsbedarf
erkennbar (Bundestags-Drucksache 19/8887). Die Arbeitsverwaltung muss
ihre Arbeit daher grundlegend ändern. Teilweise müssen aber auch
rechtliche Rahmenvorgaben geändert werden, die nicht mehr in die heutige
Arbeitswelt passen oder einem inklusiv gestalteten Arbeitsleben
entgegenstehen. II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung
auf, folgende Maßnahmen zur beruflichen Inklusion schwerbehinderter
Menschen zu ergreifen: 1. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die
Beschäftigung behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu
verbessern und dazu a. Die Unterstützung von Unternehmen, die behinderte
Menschen weiter beschäftigen oder neu einstellen wollen,
übersichtlicher, verlässlicher und unbürokratischer zu gestalten. Hierzu
sollen
gesetzlich verankerte Leistungen an Arbeitgeber
verbindlicher gestaltet werden, damit eine transparente Förderkulisse
entsteht und von Anfang an klar ist, womit gerechnet werden kann; b. Die
Vorschriften des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch, die eine zügige und
koordinierte Bearbeitung von Anträgen gewährleisten sollen, auf Anträge
von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern auf Unterstützungsleistungen
auszudehnen; c. Die Deckelung des Budgets für Arbeit aufzuheben, es zu
entbürokratisieren und so auszuzahlen, dass interessierte
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nicht in Vorleistung gehen müssen; d.
Den gesetzlichen Auftrag und die Ausstattung der Bundesfachstelle
Barrierefreiheit so zu erweitern, dass sie auch die Wirtschaft
tatsächlich beim Abbau und Vermeiden von Barrieren beraten kann; e. Die
Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen auf 6 Prozent zu erhöhen;
f. Die Ausgleichsabgabe für die Unternehmen, die trotz verbesserter
Unterstützungsmaßnahmen (siehe 1.a – 1.d) deutlich weniger
schwerbehinderte Menschen beschäftigen als gesetzlich verlangt, spürbar
zu erhöhen, um mehr Gerechtigkeit herzustellen zwischen Unternehmen, die
ihrer Verantwortung nachkommen, und denen, die sich ihr verweigern; g.
Die Ausgleichsabgabeverordnung so zu ändern, dass aus Mitteln der Abgabe
nur noch Leistungen an behinderte Beschäftigte und ihre
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber des allgemeinen Arbeitsmarkts erbracht
sowie Inklusionsbetriebe, Dienste der psychosozialen Beratung und
Integrationsfachdienste gefördert werden dürfen und Inklusionsbetriebe
verstärkt aus Steuermitteln zu fördern; h. Auf der Website des BMAS eine
Positivliste mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern zu führen, die
deutlich mehr schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
beschäftigen als es ihrer Verpflichtung entspricht oder die Personen mit
Schwerbehinderung beschäftigen, obwohl sie nicht gesetzlich dazu
verpflichtet sind; i. Lebensbegleitendes Lernen als
selbstverständlichen Bestandteil einer Wissensgesellschaft zu
akzeptieren und durch entsprechende Rechtsansprüche auf Finanzierung
und Bereitstellung personeller und technischer Unterstützung im
Teilhaberecht zu fördern; 2. Die Bundesagentur für Arbeit zu
arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen sowie operativen Leitlinien
zur verbesserten Inklusion behinderter Menschen auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt zu verpflichten und dabei a. Schwerbehinderte Arbeitslose
qualifikationsgerecht zu vermitteln und dabei insbesondere
Arbeitsuchenden mit hohem Unterstützungsbedarf die gleichen Chancen auf
Vermittlung zu geben wie allen anderen Arbeitsuchenden; b. Für Menschen
mit besonders hohem Unterstützungsbedarf die erforderlichen Hilfen
unkompliziert und niedrigschwellig bereitzustellen; c. Für die Beratung
von Menschen mit besonderen Bedürfnissen zwingend einen höheren
Personalschlüssel einzuplanen, um genügend Zeit zu geben für das
Dolmetschen in Gebärdensprache, langsameres Verstehen, Bedürfnis nach
Ruhepausen etc.; d. Sich zu einer Beratung auf Augenhöhe zu
verpflichten, die die beruflichen Ziele und Wünsche der Ratsuchenden mit
Behinderung einbezieht, analog zum Wunsch- und Wahlrecht im
Sozialgesetzbuch IX; e. Während des Beratungsprozesses in regelmäßigen
Abständen eine Kundinnen- und Kunden-Zufriedenheitsabfrage bei den
behinderten Ratsuchenden durchzuführen, um den Betroffenen die
Möglichkeit zu geben, ihre Erfahrungen zurückzumelden und so
zielgruppengerechte Beratungsqualität zu sichern; f. Zur zielführenden
Beratung die Mitarbeitenden von Jobcentern und Arbeitsagentur, die im
Reha-Bereich eingesetzt werden, umfassend zu schulen und bevorzugt
Personal mit rehaspezifischen Kenntnissen bzw. Abschlüssen einzustellen;
g. Bezogen auf behinderte Menschen auf Zielvorgaben und
Vermittlungsquoten für die Mitarbeitenden von Jobcenter und
Arbeitsagentur zu verzichten, um eine zielführende und passgenaue
Beratung und Vermittlung zu ermöglichen.
Berlin, den 4. Juni 2019 Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
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